– Schluß mit der verkehrten Alterslegende! Wer keinen Lebenssinn mehr kennt, muß früher sterben… –
Wenn der lineare Verlauf der Zeit wertneutral ist und es genügend Zeit gibt und immer schon gegeben hat, was unbestritten ist, dann ist die Furcht vor dem Alter eine negative Zukunftserwartung. Das ist eine pessimistisch gefärbte mentale Entscheidung, die im Kopf passiert und nirgendwo anders. Ich darf sehr zuverlässig davon ausgehen, daß mein Körpersystem im physischen Zwangsvollzug diesem „höheren Befehl“ folgen wird.
Hilfreich ist eine berühmte Fangfrage, die der griechische Philosoph Eubolides von Megara im 4. Jahrhundert vor Christus gestellt hat: „Wieviele Körner ergeben einen Haufen? Ein Korn macht noch keinen Haufen, zwei auch nicht … beim wievielten Korn beginnt der Haufen?“ Wieviel Jährchen muß man aufsummen, um „alt“ zu sein, um zu jenem wachsenden Haufen von Alten zu gehören?
Diese listige Frage ist wahrhaft zeitlos und schicksalsbestimmend. Denn anders betrachtet: Nach dem siebenten Lebenstag hat man ja schon ein Häuflein Zeit von 168 Stunden zusammen, und da beginnt das Alter oder das „Altern“. Letzteres veranschaulicht noch besser die fortlaufende Progression, die dann ab dem 18. Lebensjahr in den Umkehrprozeß der Regression geht, wenn der Zellverfall im Körper einsetzt. Streng genommen ist dieser ja ein perpetuum mobile unter dem Zeitaspekt der Verlangsamung oder Beschleunigung, ein langsamer Abstieg nach furiosem Aufstieg im Zenit des „Gerade-Erwachsenseins“, den ich beliebig durch meine Lebensart und -form beschleunigen kann.
Leben hat immer nur den Sinn, den wir ihm geben – lebenslang! Wenn Alter, Schwäche, Rückzug, Vergeßlichkeit, Ausruhen, Retirieren, Einkehr, Rückschau und Arbeitslosigkeit bedeutet – das ist der Teufelskreis einer verkehrten Synapsenschaltung, die von unserer dümmlich-fehlorientierten Gesell-schaft zu einem Nymbus hochstilisiert wird. Bedenkliches Programm! Denn klammheimlich wird auch unser Immunsystem destabilisiert und ebenso bewegungsfaul wie der geistige und physische Körper.
„Ich gehe in Rente“! Welch Abschlußzäsur eines vergangenen Lebens ohne Neukonzept für das weitere Leben! Genüßlich ausgesprochen wie „Ich hab`s geschafft“ – „nach mir die Sintflut“, „jetzt hab ich endlich Ruhe …“, „jetzt kann ich endlich machen, was ich will …“ – „Nun habe ich Zeit zum Sterben!“
Wer der Statistik glauben möchte, im dritten Jahr nach der Pensionierung sterben die meisten Menschen! Interessant, nicht wahr? Warum wohl? Sie sind plötzlich herausgerissen aus einem jahr-zehntelangen Rhythmus des Erwerbslebens mit einer Aufgabe, die sie ausgefüllt hat. Plötzlich sind sie nichts mehr wert, niemand braucht sie mehr. Ihr ganzes Wissen, ihre ganze Erfahrung und Lebens-weisheit vermodert auf dem Misthaufen der Zerstreuungspolitik des Rentnerlebens, das äußeren Fun und Beschäftigungs-Krümelkäse sucht, aber keine Herausforderung mehr.
Der Fernseher, der eine virtuelle Scheinwelt mit niederen Instinkten in die Stube zaubert, schafft dann noch den Rest der einsetzenden Verdummung. Und das zu einem Zeitpunkt noch verhältnismäßiger körperlicher Rüstigkeit und finanzieller Mobilität, in der man sich die Welt realiter aus eigenem Augenschein draußen noch ansehen könnte und sollte, vorausgesetzt, daß man noch so viel Kraft hat, seinen dicker werdenden Hintern aus dem bequemen Sessel zuhause zu lüften … Ein rasanter Abstieg hat begonnen!
Alter ist nichts anderes als eine mentale Phobie. […]