Auch in dieser Woche war die Ukraine das beherrschende Thema nicht nur in nahezu allen Medien, sondern natürlich auch in Talkshows, auf Konferenzen und in Debatten unter Bankern, Investmentmanagern und Vermögensverwaltern. Erschreckend, wenngleich wenig verwunderlich, ist eigentlich nur, wie unendlich kleinkalibrig die argumentative Munition ist, die auf diesen Versammlungen, in Artikeln und Medienberichten zu diesem Thema „verschossen“ wird. Ein kurzer Blick in die Historie: Seit 1990, dem Zusammenbruch des von Moskau gesteuerten ‚Ostblocks‘, haben sich die NATO – wem, außer den Waffenproduzenten, deren Lobbyisten und pathologischen Eroberungsphantasten nützt dieser „Verein“ eigentlich noch?! – und (seit 2001) die EU um 13 Staaten nach Osten an Rußland herangepirscht.
Die Vorgänger Wladimir Putins, Michail Gorbatschow und Boris Jelzin, ließen sich – bei aller Unterschiedlichkeit der Charaktere – vom Westen einlullen und mit falschen Versprechungen füttern (Gorbatschow) bzw. hofieren in ihrer Mischung aus Eitelkeit und Dummheit (Boris Jelzin); beide waren aus diesem Grunde zu einer Gegenwehr ebenso wenig bereit und fähig, wie zu eigentlich angeratenem Mißtrauen.
Was allen vernünftigen und friedliebenden Menschen eigentlich als Menetekel hätte gelten sollen und können, war der Zusammenbruch des jugoslawischen Kunststaates, in dem ein Dutzend Völker, drei Dutzend Ethnien und Dutzende unterschiedlicher Sprachen, Dialekte und Kulturalitäten zu einem politischen Konstrukt zwangsvereint wurden. Dieses brach nach dem Wegfall der politischen Klammer unter fürchterlichen Opfern für die Zivilbevölkerung binnen weniger Monate zusammen; die Folge war ein jahrelanger Selbstzerfleischungsprozeß, der von außen bestenfalls tatenlos beobachtet, schlimmstenfalls mit Waffen unterstützt und kriegerisch begleitet wurde.
Nun droht der Ukraine, die nach dem 2. Weltkrieg ebenfalls kunstvoll zu einem Partner der ‚Union der sozialistischen Sowjetrepubliken‘ zusammengestrickt wurde, das gleiche Schicksal. Dabei war sowohl die Abhängigkeit von Moskau als auch die Dominanz der Russen in der Bevölkerung – hauptsächlich im Osten und Süden der Ukraine, aber auch im Westen – von vornherein auffällig, politisch dienstbar und nach Lage der Dinge auch unvermeidbar; immerhin sind das Asowsche Meer und das Schwarze Meer mit seinen russischen Häfen (nicht nur die vier wichtigen Häfen auf der Krim) für Rußland von hohem strategischem Wert, und zu deren Schutz unterhält Rußland dort seit Ende des 2. Weltkriegs Kasernen mit einer Truppenstärke von bis zu 15 Bataillonen.
Aber auch kulturell und historisch sind große Teile der Ukraine – wiederum vor allem im Osten (durch seine Nähe zu Rußland) sowie auf der Krim – seit mehr als 1.000 Jahren nicht nur größtenteils russisch, sondern geradezu die Wiege des heute flächenmäßig größten Landes der Welt. Immerhin war es die Gegend um Kiew, in der die Waräger die Keimzelle des Volkes der Rus begründeten – mit Kiew als erster Hauptstadt! Aber die wenigsten (auch Ukrainer und Russen) wissen heute noch, daß Kiew länger Hauptstadt Rußlands war als Moskau und St. Petersburg zusammen.
Nunmehr zerfällt also, was nach dem 2. Weltkrieg künstlich zwangsvereint wurde – ein Lehrbeispiel für das, was letztlich auch dem Europäischen „Konzentrationslager“ drohen wird! Leidtragende sind – wie immer bei politischen Konflikten – natürlich nicht die Zündler und Luntenleger unter den Politikern und die dahinterstehenden Strippenzieher der Macht und des politischen Einflusses, sondern die Bevölkerung in ihrer hoffnungslosen Wehrlosigkeit und lethargischen Apathie.
Nur schade, daß sich denkfaule und wirklicher Informationabilität verweigernde Bürger Westeuropas nicht bereit finden, den politischen Kriegstreibern vehement und entschieden in den Arm zu fallen; stattdessen wird mit einer Mischung aus tumber Sensationsgier und verständnislosem Kopfschütteln verfolgt, was sich dort im Südosten Europas, keine Raketenflugstunde von Deutschland entfernt, abspielt.
Den Kriegstreibern in Washington, London, Paris und Berlin ist das nur recht, lenkt es doch von den realen sozialen und ökonomischen Problemen der EU so bequem und konvenient ab.
Den Märkten ist das politische Schmierentheater in und um die Ukraine mehr oder weniger egal; die Indizes schwanken um die Marken, die sie seit Wochen jeweils nach oben und unten testen. Gleiches gilt für den Dow Jones, den S&P, ja sogar die asiatischen Märkte sowie die Edelmetall- und Rohstoffbörsen – mit nur marginalen Unterschieden.
Lassen Sie sich vom Waffengeklirr der politischen Psychopathen und ihrer medialen Speichellecker nicht ins Bockshorn jagen!
H.-W. Graf