Auf flüchtigen Augenschein hin und sofern man die sendenden und druckenden Medien gläubig rezipiert, scheint „alles in Butter“ zu sein; die USA veranstalten wieder ihr Budget-Kasperletheater – zum 78. Mal in 50 Jahren!; der postsenile Berlusconi bequemt sich nun, angesichts der Tatsache, daß ihm sogar enge Verbündete inzwischen von der Fahne gehen, den italienischen Ministerpräsidenten in der Vertrauensfrage doch zu unterstützen (statt die drittgrößte Volkswirtschaft Continental-Europas rachsüchtig in Geiselhaft zu nehmen); die Euro-Zone wird 2013 mit einem Haushaltsüberschuß von etwa 2% glänzen [hauptsächlich vom deutschen Überschuß (ca.6%) getragen]; der Euro steigt – zumindest im Verhältnis zum US-Dollar, und Mario Draghi beläßt es gütigerweise beim Rekord- Zinstief für die EZB. Wer will da noch von Krise reden?
Nun, das Ganze ähnelt dem elf Monate lang in verwöhnter Glückseligkeit schwelgenden Truthahn, der sich dann, im November, unversehens im Bratrohr verschwinden sieht – extrem dumm gelaufen!
Die Wahrheit sieht etwas anders aus: Die US-Amerikaner haben ihre Importe um durchschnittlich 8% zurückgefahren (wodurch die Außenhandelsbilanz automatisch besser erscheint) und ihre Sparquote von 6% (2010) auf inzwischen wieder unter 4% reduziert; die deutschen und europaweiten Groß- und Weltkonzerne streichen Stellen (vor allem im Inland), wo sie nur können (darüber darf auch die Anstellung von 70.000 Mitarbeitern bei Amazon nicht hinwegtäuschen; hier geht es, wie jedes Jahr, ausschließlich um Zeitverträge für das Weihnachtsgeschäft). In 14 EU-Ländern gehen sowohl die Exporte als auch die Industrieproduktion zurück (in den Problemländern sogar zweistellig), und nur die Reduktion der Importe hübscht auch hier das Bild etwas auf. Unter diesen Ländern sind erstmals nun auch die Niederlande und Belgien.
Derweil hat China seine Goldbestände seit 2001 von 700 auf über 6.000 Tonnen erhöht und trennt sich auf diese Weise (sowie durch rege Beteiligungskäufe in den USA, Canada und Europa) ganz leise von seinen US-Dollar-Beständen.
Interessant: Noch 2005 wurden 45% des chinesischen Welthandels in US-Dollar abgewickelt, hingegen nur 25% in Renminbi (der internationalen Version des Yuan). Heute laufen gerade noch 15% des chinesischen Außenhandels über den US-Dollar, hingegen 70% bereits in Renminbi bzw. Konsortial-Währungen (ähnlich dem früher geltenden ECU in Europa); China, Indonesien, Brasilien, Rußland und Südafrika stricken nämlich an einem Währungsverbund, mithilfe dessen sie US-Dollar-unabhängig werden wollen; man traut der US-Währung immer weniger.
Wenn nun das US-$/EURO-Verhältnis seit Wochen um die Marke von 1,35 pendelt, verheißt dies für die beiden führenden Welt-Währungen (in denen immer noch fast 75% des Welthandels denominiert werden) nicht wirklich Gutes.
Die wohl ehrlichste Antwort auf meine Frage an den Europa-Manager einer der größten Kapitalanlagegesellschaften weltweit, wie sein Haus die Zukunft des Euro sehe, lautete (begleitet von einem breiten Grinsen): „Die auf höheres Geheiß (!) handelnden Politiker werden den Euro rücksichtslos und um jeden Preis verteidigen, egal, was es kostet und egal, wie lange es dauern mag. Einige Wenige wissen genau, was vorgeht, kümmern sich aber nicht um die Folgen, da kein Mensch sie jemals zur Verantwortung ziehen wird. Die meisten – nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa – haben jedoch nicht den Hauch einer Ahnung von wirtschafts- und währungspolitischen Zusammenhängen; sie stimmen meinungslos, aber unterwürfig ab, wie ihnen dies die Parteidoktrin vorgibt. Die Märkte sind davon längst unabhängig; nationale Politiken beantworten sie schnell und flexibel.“
Nun, irgendwann wird uns – dies sei ohne Häme oder Panikmache gesagt – die „Rechnung“ präsentiert werden, und es wird ein bunter Mix aus Leistungskürzungen, höheren Inflationsraten, Renditeeinbußen bei Geldwerten (lang laufenden Anleihen- und Rentenwerten, Festgeldern und Lebensversicherungen) und höheren Verbrauchs- und Mehrwertsteuersätzen sowie punktuellen steuerlichen Eingriffen sein (die Japaner erhöhten jüngst ihren Mehrwertsteuersatz um glatte 100% – von 5% auf 10%!).
Das Tauziehen um die Macht in Berlin könnte sich bis ins Jahr 2014 hineinziehen – Belgien, das immerhin 14 Monate ohne real-existente Regierung auskommen durfte, läßt grüßen –, und, wer weiß, vielleicht werden wir bereits im Winter 2013/2014 erneut zur Urne gerufen.
Lassen Sie sich den (hoffentlich) ‚Goldenen Oktober‘ nicht vermiesen; wir Bundesdeutsche jammern auf wesentlich höherem Niveau als Griechen und Italiener, Portugiesen und Spanier, Zyprioten und Iren, Franzosen und Slowaken.
H.-W. Graf