Tagtäglich wird uns – insbesondere von der Politik und nachgerade vor Wahlen oder als Begründung für neue Gesetze und jeweilige „Reformen“ in der „Sozial“gesetzgebung – Solidarität vorgebetet, abverlangt und eingebleut. Doch was ist das eigentlich? Gibt es etwa sogar echte und unechte Solidarität?
Nun, der Duden definiert es als „gegenseitiges Verbundensein“, und forschen wir linguistisch-neu-gierig ein wenig tiefer, erhellt sich: ‚solidus’ (lat.) als ‚fest (verbunden), stark’; ‚… ität’ erwächst aus dem Wortstamm ‚ire’ (lat.: ‚gehen’) und beschreibt einen beendeten Ablauf – also quasi eine ‚eingegangene Verbindung’, die dadurch zu wachsender Stärke für jeden Einzelnen führt.
In der Tat gehen wir lebenslang derartige Verbindungen ein, solidarisieren uns ständig und in vielerlei Hinsicht. Der Mensch ist ein „Rudeltier“ und sucht die Gemeinschaft, in der er Schutz und Zustimmung, Bestätigung und Anerkennung gewinnt. Als Gegenleistung geht er dafür wiederum Kompromisse ein, mitunter übt er auch Verzicht – quasi für die Solidarität, die ihm entsprechende Vorteile bietet, die ihn nicht alleine sein läßt.
Aber lassen Sie uns das mal ein wenig sortieren:
Familiäre Solidargemeinschaft (‚Primär’-SG)
Erstmals erleben wir Solidarität im Elternhaus. Die Familie bildet einen geschlossenen Kreis, quasi ein Mini-„Rudel“, in dem wir Liebe und Wärme, die Bestätigung unserer Grundbedürfnisse und Sicherheit erfahren, wobei aber – durchgängiges Merkmal einer Solidargemeinschaft – nicht alle Mitglieder gleiche Rechte und Pflichten haben (können/müssen). In jeder SG sind Rollen unterschiedlich verteilt und nicht immer herrscht ein Gleichgewicht des ‚Gebens’ und ‚Nehmens’. Anstelle eines vertraglich geregelten Leistungsaustausches, wie z.B. im späteren Berufsleben oder beim Erwerb eines Gegenstandes bzw. einer Dienstleistung, sorgen Eltern für ihre Kinder im Rahmen ihrer Fähigkeiten und Möglichkeiten. Erst mit zunehmendem Alter erweitert sich für die Kinder der Katalog der Gegenleistungen, bis diese ihrerseits flügge werden, sich selbständig machen, ausziehen und eigene Solidaritäten (Beziehungen) eingehen, bzw. Familien gründen.
Je nach Qualität und Inhalt der Erziehung dauert diese Solidarität mehr oder weniger lange. Je zwangvoller Kinder in diese SG eingebunden werden, desto eher versuchen sie, ihr zu entfliehen, wobei oftmals die Bequemlichkeit den entscheidenden Hemmschuh dafür bildet, eine an sich nicht sehr freudvolle familiäre SG aufzukündigen. Ein besonderes Problem erwächst für Kinder, wenn ihre primäre SG (Familie) durch exogene Einflüsse [Tod der Eltern, Scheidung (vor allem wenn diese strittig erfolgt]oder staatliche Eingriffe (Entziehung des Erziehungsrechtes) zerbricht.
Andererseits behindern nur allzu oft die Verlustängste der Eltern die rechtzeitige Auflösung der SG (unter einem Dach); denn eine intakte familiäre SG überdauert sehr wohl eine räumliche Trennung, wenn (und solange) diese – und hier kommt der entscheidende Aspekt – freiwillig und in gegenseitiger Zugewandtheit und vertrauensvoll erlebt und gelebt wird.
Immer noch völlig unterschätzt wird die Bedeutung dieser familiären Primär-Solidargemeinschaft, die hauptsächlich von Eltern gestaltet und entwickelt wird, die dieses ‚Elternsein’ aber nie wirklich gelernt haben. Erlebt das Kind die Familie als einen Hort der Sicherheit und des Schutzes, der Anerkennung und Liebe, so entwickelt es seinerseits Vertrauen ins Leben und ein Bewußtsein des eigenen Wertes, der eigenen Fähigkeiten; es entwickelt eine positive Grundhaltung, Lebensfreude und ein kraftvolles Ich-Bewußtsein.
Gleichwohl gehört zu den Paraforanden einer sauberen, lebensertüchtigenden Erziehung auch, Kindern die „Spielregeln“ im sozialen Umfeld beizubringen, denn der respektvolle Umgang miteinander, Fleiß und Hilfsbereitschaft, Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit (um nur einige zu nennen) gehören eben nicht zur genetischen Grundausstattung. Die Frage ist nur, in welcher Weise diese Werte vermittelt werden. Dominieren elterliche Zwänge, Gewalt und Drohungen (inkl. eines ausführlichen Katalogs an Sanktionen), so wird Erziehung zu ‚Dressur’. Das Ergebnis sind angepaßte, ängstliche Menschen. Werden jedoch Erklärungen mitgeliefert, führt dies zu Verständnis und Klarheit.
Die Bedeutung dieser Einübung sozialen Verhaltens reicht nämlich weit über das Bestehen der familiären Solidargemeinschaft hinaus und bestimmt im späteren Leben als Erwachsener, inwieweit das Kind entweder lernt, sich selbst zu behaupten und in authentischer Weise sein Leben zu führen – interessiert, neugierig und lustvoll – oder ob es in ständiger Angst vor Strafe zu einem angepaßten Mitläufer wird und einen Rucksack voll von Verlust– und Versagensängsten durch sein künftiges Leben schleppt. [Betrachtet man das Gros der Erwachsenen, scheint der Verdacht nicht unbegründet, daß es von der letztgenannten Gruppe weit mehr Menschen gibt – die ideale Manipulationsmasse für Politiker und Parteien, Religionen, Medien und die Werbeindustrie!]
In diesen Kreis der familiären SG sind unter Umständen noch weitere Personen eingeschlossen – Geschwister, Großeltern, Onkel und Tanten. Einige sind dabei inniger verbunden, andere weniger. Mitunter ändert sich auch die Qualität der Verbundenheit im Laufe der Zeit (in beide Richtungen). All diesen Formen familiärer Verbundenheit ist jedoch das Merkmal der Freiwilligkeit gemein; solange die positiven Empfindungen in dieser familiären SG überwiegen, bleiben wir in ihr, auch wenn wir dafür auf Rechte verzichten – jede SG verlangt die Bereitschaft, zu teilen und mitunter Kompromisse eingehen zu müssen.
Wir anerkennen unterschiedliche Meinungen und Vorlieben, respektieren Unterschiede und divergierende Lebensskripte und Interessen, weil wir ein Gefühl der Verbundenheit empfinden, die Anwesenheit des Anderen genießen, miteinander Interessen teilen, uns gegenseitig zugewandt fühlen, respektieren und schätzen, Liebe erleben und uns deshalb in dieser SG wohlfühlen.
Kindergarten, Hort, Schule (‚Sekundär’-SG)
Anders stellen sich die später folgenden SGn dar. [….]