Es stehen zwei Berichte im Lokalteil der norddeutschen Zeitung. Der Aufmacher mit der Überschrift „Glücklich über die neu gestaltete Ampel“ handelt von der behindertengerechten Aufrüstung einer bereits vorhandenen Fußgängerampel: „Der Druckknopf ist tief angebracht für Rollstuhlfahrer. Außerdem ertönt ein Taktsignal (Orientierungston) für Blinde, und es gibt einen Vibrationsknopf unter dem gelben Druckknopf für Seh- und Hörbehinderte.“
Der Hintergrund: Als sich der Landrat im letzten Jahr nach Problemen im Dorf erkundigte, klagten Menschen mit Behinderungen über die zu lange Ampelphase. Flugs habe sich „der Landrat darum gekümmert“, schreibt das Blatt: „Letztlich nahm er aus dem Topf, der mit Geldern von Verkehrssündern gefüllt wird, 7.000 Euro und gestaltete die Ampel um.“ Der Behindertenstammtisch freut sich und dankt dem Landrat.
So weit, so schön, möchte man meinen. Ist es doch immer prima anzusehen, wenn Politiker endlich einmal beherzt durchgreifen und sich großzügig zeigen ohne jeden Verweis auf störende Gesetzestexte und ärgerliche Verwaltungsvorschriften. Gäbe es darunter nicht noch den zweiten Artikel mit der ungemütlichen Überschrift „Eltern: Schulwegsicherheit ausgesprochen mangelhaft“. Hier nun geht es um einen Brief, den Eltern neun- und zehnjähriger Fahrschüler an denselben Landrat gerichtet haben mit der Bitte, doch endlich etwas für die Sicherheit des Schulwegs zu unternehmen. Ihre Kinder, so schreiben die Eltern, müssen nach Verlassen des Schulbusses an drei Haltestellen eine breite Landstraße (erlaubt: Tempo 70) überqueren, an der es weder Zebrastreifen noch Warnschild, geschweige denn eine Ampel gibt. Auch Haltebuchten fehlen, sodaß die Kinder direkt nach dem Busausstieg am Straßenrand stehen und dem Verkehr ausgesetzt sind. „Diese Situation ist unerträglich“, klagen die Eltern.
Ob der Brief etwas nützen wird, ist freilich fraglich, hatten Eltern doch an anderer Stelle schon einmal vergeb-lich versucht, eine Ampel zu erbitten und zu erbetteln, um ihren Kindern das Überqueren einer breiten Schnellstraße (Schulweg) zu erleichtern. Die Reaktion des Landkreises seinerzeit: Eine Verkehrszählung an besagter Schnellstraße habe nicht die genügende Personennutzungszahl ergeben, die Neuinstallierung einer Ampel sei deshalb leider nicht möglich. Da auch die Schulbuskinder wohl nicht zehnmal täglich die Straße hin und her überqueren werden, kann man sich schon jetzt denken, wie der Elternbitte entsprochen wird: gar nicht.
Es ist das Übliche und auch nichts Neues: Kinder haben keine Lobby. Sie sind nicht gewerkschaftlich oder sonst wie organisiert, treffen sich nicht an Stammtischen und haben keine Wählerstimmen. In den oberen Etagen der Politik wird das Wort „Kind“ neuerdings zwar gern in den Mund genommen. Weiter unten tut man dann aber so, als habe man es nie gehört. Behinderte können längst lauter rufen als Kinder und werden auch schneller erhört. In Niedersachsen haben Sehbehinderte eben erst wieder das von Frau von der Leyen einst gestrichene Blindengeld erstritten – nach heftigen öffentlichkeitswirksamen Protesten. Kinder werden öffent-lich im Moment eigentlich nur in der Form wahr genommen, daß eine Notwendigkeit der Betreuung besteht, wenn ihre Eltern arbeiten gehen. Deshalb hat die Familienministerin kostenlose Kindergartenplätze gefordert. Die zu bezahlen, sperren sich wiederum die Kommunen. Für vieles andere ist auch in der Provinz Geld da – bei Kindern fehlt es aber plötzlich wieder. Werden neue Spielplätze eingerichtet, sind es oft genug Grundstücke, die sich schlecht verkaufen lassen, weil eine viel befahrene und damit stinkende Straße angrenzt.
Doch, es gibt auch Positiv-Beispiele: Etwa als vor Jahren Beamte einer schwangeren Mutter mit Kleinkind den Grad einer Behinderung zusprachen. Die Mutter, mit dem Zweiten hochschwanger, war mit ihrem knapp einjährigen Sohn auf der Autobahn unterwegs. Der Filius quengelte, hatte die Hosen voll und mußte gewickelt werden. Es regnete in Strömen, alle Parkplätze an der Raststätte waren belegt – bis auf die Behindertenplätze. Keine Frage also, dort hin. Bei der Rückkehr die unweigerliche Knolle. Als die Zahlungsaufforderung Wochen später eintraf, wagte die Mutter einen Einspruchsversuch und schilderte brieflich die Umstände, unter denen sie dort geparkt hatte – mit beigefügter Kopie des Mutterpasses. Die zweifache Mutterschaft erfüllte den erforderlichen Grad der Behinderung und damit die Berechtigung, auf dem Behindertenparkplatz zu parken, offenbar vollkommen. Denn eine weitere Zahlungsaufforderung hat die Frau nie mehr bekommen. Womöglich fehlt ja heute genau dieses Geld im Verkehrssündertopf, um Straßenüberquerungen auch für Kinder, nicht nur für Behinderte, sicherer zu machen.
Birgitta vom Lehn