Es dürfte spannend werden, wen sich die vor zwölf Tagen noch euphorisch beglückwünschte Kanzlerin für die nächsten vier Jahre ins „Boot“ holt; eine ramponierte SPD, die in einer großen Koalition schon einmal recht böse Erfahrungen machte, marginalisiert und vier Jahre später mit dem schlechtesten Wahlergebnis „bestraft“ wurde, oder ob Angela sich mit den völlig enthaupteten Grünen/Grüninnen zum politischen Tête-à-tête verbandelt.
In jedem Falle könnte es Wochen dauern – die SPD will ihre Mitglieder befragen und im November darüber beraten; die Grün(inn)en suchen gerade per Internet nach neuen Häuptlingen –, bis das 18. Bundeskabinett steht. Jedem muß klar sein, daß die künftige „Tafelrunde“ unter der ausschließlichen Führung von Frau Merkel stehen wird; notfalls wird sie Präsident Gauck (ein Novum in der Geschichte Deutschlands) beauftragen. Aber schon drei Tage nach der Bundestagswahl buhlen die „Christlichen“ um rote/grüne Gunst – mit dem Lockruf, man schlösse auch Steuererhöhungen nicht gänzlich aus.
So wenig die internationalen Märkte sich für nationale Politik interessieren, der historische Absturz der pseudo-liberalen FDP – hätte sie sich für die IHK-/HWK-Kammerfreiheit eingesetzt, wäre sie im erlauchten Plenum verblieben! – sorgte sowohl an den europäischen Börsen wie auch an den Währungsmärkten für Irritationen und nachgebende Kurse, denn nun taucht erneut das Schreckgespenst einer sich wieder zuspitzenden Euro-Krise am Horizont auf. Dies nur dem Wahlergebnis zuzuschreiben, wäre naiv. Viel bedeutsamer ist die negative Entwicklung der Problemstaaten in Südeuropa (inkl. Frankreich und Italien), die allen euphorischen Vorhersagen zum Trotz wieder schwächere Entwicklungen zeitigen; Frankreichs Verschuldung steigt für 2014 auf über 95% des BIP (Maastricht schreibt maximal 60% vor!).
Auch das Abschmelzen der Target-Salden (575 Milliarden nach zuvor 751 Milliarden) ist nun zum Stillstand gekommen; die zuvor aus den Südländern nach Norden (insbesondere Deutschland) verschobenen Gelder wurden wieder in die Heimatländer verbracht, aber deren Wirtschaften verspüren wenig Aufwind; die internationale Wettbewerbsfähigkeit leidet und das Heer der Arbeitslosen wächst.
Da einerseits die Schröder‘sche Politik den Abschied von der Gültigkeit der Maastricht-Kriterien einleitete, andererseits die SPD unter Steinbrück, Steinmeier und Gabriel einen genau gegensätzlichen Kurs fährt (pro Euro-Bond und Bankenunion), wissen die Märkte nun kaum noch, womit sie in Europa zu rechnen haben werden.
Sicher ist, daß insbesondere Deutschland die Illusion eines finanz- und währungspolitisch vereinten Europas – die Belange der Sozialpolitik werden von den EUphorikern völlig ausgeblendet – weitaus teurer bezahlt, als dies bislang zugegeben wird. Das Ganze erinnert an die Serienpleiten in Spanien im 16. und 17. Jahrhundert (1557, 1575, 1596, 1607, 1627 und 1647). Damals glaubte Philipp II., der als Sohn des Pleitiers Karl V. unbedingt Kaiser eines gesamteuropäischen Weltreichs werden wollte, sich für 100.000 geliehene Gulden den Thron kaufen zu können. Nun, die Fugger und Medicis präsentierten bereits Karl V. 1519 die Rechnung – neunmal höher als gedacht. Unter Philipp II. und seinem Sohn Philipp III. wuchs Spaniens Debet bei den Bankiers auf bis zu 250% der Staatseinnahmen. Davon erholte sich Spanien auch in den folgenden 300 Jahren nicht mehr, und Ende des 19. Jahrhunderts verlor es auch seine letzten Kolonien in Kuba, Mexiko, den Philippinen und Puerto Rico sowie in Afrika, Südamerika und Südostasien.
H.-W. Graf