– über die Angst vor Veränderung –
Eigentlich klingt diese Aussage beinahe verdächtig banal, denn ‚natürlich’ möchte Jeder er selbst, also ‚echt’ (authentisch) sein und auf dem Weg durchs Leben sein individuelles Höchstmaß an ‚Selbst’heit leben und genießen. Zumindest meint man, davon ausgehen zu dürfen.
Doch ganz so abwegig scheint der Verdacht nicht zu sein, daß hier zumeist der Wunsch der Vater des Gedankens ist und es den meisten Menschen eben doch nicht so einfach erscheint, IHR Leben zu leben, IHR wahres SELBST zu (er)kennen; wie sonst ließe sich der millionenfache Absatz Tausender von ‚Lebenshilfebüchern’ erklären? Warum sonst erleben Filme eine Hochzeit, die uns das ‚Heldentum’ der ‚Krisenbewältiger’ schlechthin vor Augen führen? In derartigen Filmen sehen wir dann furchtlose Helden alle Probleme meistern, brutal oder spielerisch, aber immer erfolgreich. Warum flüchten denn so viele Menschen in esoterische Zirkel, Kulte und Sekten? Warum nehmen die psychosomatischen Erkrankungen erschreckend rapide zu, obwohl unsere Berufswelt weniger gefährlich und beschwerlich ist, wir weniger lange arbeiten und intensivere Möglichkeiten der Freizeitnutzung haben als jemals zuvor?
Beunruhigen müssen in dem Zusammenhang auch die Zunahme der Amokläufe zuvor unauffälliger (und immer jüngerer) Mitmenschen und die wachsende Aggressivität in unserer Umwelt, letztlich auch die steigenden Selbstmordraten.
Wenn Sie nun schulterzuckend konstatieren, daß bei Ihnen alles ‚im grünen Bereich’ sei und Sie obige Fragen schlicht weder beantworten können, noch sich damit zu befassen gedächten, sollten Sie sich mit den folgenden Gedanken gar nicht weiter belasten. Für Sie ist die Welt so in Ordnung, wie sie ist.
Die Probleme der ‚Selbstpositionierung’
‚Authentizität’ ist ein modernes Schlagwort – eigentlich ist es ein spätionisches Wort und wohl ca. 2.800 Jahre alt, aber was soll`s. Es bedeutet ‚Echtheit’, und als Prädikat hängen wir es Menschen an, bei denen wir den Eindruck haben, sie seien wirklich ‚sie selbst’, also authentisch. Ihnen gehört dann unsere laut geäußerte Achtung oder stille Bewunderung. Viele ihrer Fähigkeiten hätten wir gerne (wobei wir uns flugs selbst erklären, warum wir das eben nicht können, was dagegen spricht, wie mühselig das wäre, und, und, und). Das Ende vom Lied: Alles bleibt, wie es ist – bei uns ändert sich nichts, und bei nächster Gelegenheit überfällt uns in gleicher Weise das Gefühl der eigenen Ohnmacht, Inkompetenz, des Neides, der Bewunderung. Unsere Minderwertigkeitskomplexe werden genährt, und wir „beschließen“ einmal mehr, unser Leben zu ändern, „mehr“ (was? wovon?) tun zu wollen, jetzt endlich frühere „Beschlüsse“ umzusetzen, etc., etc.. Und dennoch: Nur die wenigsten dieser Momente dauern länger als ein paar „Schrecksekunden“, dann bleibt doch wieder alles beim alten – inkl. des schlechten Gewissens bzgl. unserer Trägheit, der in uns grummelnden Ängste und Feigheitsmomente. Das geht dann über Jahre so, und allmählich entwickeln wir selbst bei diesem ständigen Selbstverleugnen, dem Kampf zwischen Wunsch und schlechtem Gewissen (wenn es einmal mehr nur beim Wünschen blieb) eine Art Routine, bis wir – irgendwann – des Faktors ‚Zeit’ gewahr werden und uns klar wird, daß dieses oder jenes nun wirklich nicht mehr möglich ist, weil wir zu alt und körperlich nicht mehr fit genug sind, irgend ein anderer Zeitgenosse unsere Idee hat patentieren lassen, entsprechende Bezugspersonen gestorben sind, usw.. Uns wird dann bewußt, daß wir mithilfe fauler Ausreden Zeit und Chancen verbummelt, nicht rechtzeitig oder zu wenig konsequent gehandelt haben, Gelegenheiten unwiederbringlich verstreichen ließen. […]