Das Kinderkriegen hat seine Natürlichkeit verloren. Je gebildeter Eltern sind, desto weniger zählen Intuition und Instinkt – Plädoyer für eine neue Unbefangenheit
Schon vor über hundert Jahren hat der russische Schriftsteller Leo Tolstoi das moderne Dilemma skizziert, das Deutschland jetzt mit stärkster Wucht getroffen hat: Bildung und Kinderkriegen treten in Konkurrenz zueinander. In der Erzählung „Die Kreutzersonate“ beschreibt der „Alte“ das Leben mit Kindern als „eine Qual“: „Kinder sind eine Plage und weiter nichts.“ Die „Mehrzahl der heutigen Gebildeten“ verhindere „künstlich die Geburt weiterer Kinder… Wozu sollte man auch Bettler aufziehen oder sich selbst der Mittel zum gesellschaftlichen Leben berauben?“ Tolstois These ist knapp, aber eindeutig: „Alle Dummheiten rühren von der Bildung her.“
Das zu lesen ist starker Tobak – ausgerechnet heute, wo Abitur samt Bachelor zur Lebensgrundausstattung zählen und Bildung das Megathema schlechthin geworden ist. Was Tolstoi, ein emsiger Vordenker reformpädagogischer Bestrebungen, beklagte, war der Verlust des Natürlichen, des Instinktiven und der Intuition. Genau das also, was Kinderpsychologe Wolfgang Bergmann heute bei elterlicher Erziehung vermißt. „Bildung“ habe bewirkt, so Tolstoi, „daß Menschen sich dem Natürlichen nicht mehr natürlich nähern: Erziehungs- und Krankheits-, Kleidungs- und Ernährungsfragen rücken plötzlich in den Vordergrund. Als ob man erst gestern angefangen hätte, Kinder zu gebären. War das Kind aber nicht richtig genährt, nicht richtig gebadet worden oder nicht zur richtigen Zeit und war erkrankt, so erwies es sich, daß wir (die Eltern, Anm. d. Red.) die Schuld daran trugen, daß wir nicht das getan hatten, was nötig war.“
So und genau so ist es – leider – bis auf den heutigen Tag geblieben, nein: auf die Spitze getrieben worden. Regale mit Kinderratgebern quellen über. Kinderpsychologen entdecken ständig neue „krankhafte“ Störungen, die fachmännisch behandelt werden müssen. Die Pharmaindustrie wirft eine Pille nach der anderen auf den Markt, Therapeuten spezialisieren sich auf Bewegungs- und Sprachtherapie, Musik- und Hochbegabtenförderung. Für jedes vermeintliche Talent und jedes vordergründige Defizit haben sie etwas im Angebot, das Eltern den Himmel auf Erden verspricht. Daß die Helfershelfer für dies und das überdies nicht gerade im positiven Sinne inspirierend auf potenzielle Eltern wirken, versteht sich von selbst – genauso wenig wie das permanent intonierte Klagelied fehlender Kinderbetreuung an die Freude erinnert, die das Zusammenleben mit Kindern macht.
Auch das Elterngeld hat die natürliche Unbefangenheit, mit dem man sich des Kinderkriegens annehmen darf und sollte, eher gelähmt als befördert. Wer rechnen kann, der beendet nun erst sein Studium samt Auslandsaufenthalt und macht womöglich noch den Doktortitel. Man wartet mit dem Kindersegen so lange, bis man eine gut dotierte Stelle besetzt. Das kann dauern – oft so lange, bis für die in die Jahre gekommenen „Alpha-Mädchen“ die biologische Uhr abgelaufen ist.
Das Dienstausfallerstattungsgeld ist in dem Fall jedoch sattsam, manch ältere Akademikerin entschließt sich deshalb tatsächlich noch zu dem einen (aber eben oft nur dem einen) Kind. Dümmer steht die Studentin mit Kindern oder die junge „Nur-Hausfrau“ da: Statt zwei Jahre lang bekommen sie jetzt nur noch ein Jahr lang 300 Euro monatlich überwiesen. Die Kürzung der Leistung, von der seitens der Verantwortlichen aber nie die Rede ist, ist deshalb so schlimm, weil sie ein fatales Signal sendet – und das zu einer Zeit im Leben junger Frauen, die fürs Kinderkriegen biologisch optimal ist. Das Signal heißt: Ein Universitätsabschluß und eine gut bezahlte Stelle sind mehr wert, als bloß Kinder in die Welt zu setzen. Bildung (s)toppt Babybauch. Tolstoi sah das voraus.
Aber muß das so sein? [….]