Einmal mehr war es Axel Weber, heute Präsident der UBS, früher Chef der Bundesbank, der die Situation trefflich umschrieb: „Die EZB entwickelt sich immer mehr zur ‚eierlegenden Wollmilchsau‘, die all die Probleme lösen soll, die Brüssel nicht lösen kann“, – und, so möchte man hinzufügen, nationale Politiker nicht lösen wollen, obwohl sie ursächlich dafür verantwortlich sind.
Während die kriegerische Wortakrobatik, mit der wir, die grundsätzlich für alles haftenden BürgerInnen, noch vor einem halben Jahr medial laufend zugeschüttet wurden, allmählich abebbt, brodelt und gärt im Untergrund weiter, was von einer Lösung meilenweit entfernt ist – die Eurokrise. Während nämlich vor allem Irland, aber auch Spanien und Griechenland inzwischen wieder die ‚Nase über Wasser‘ haben, laufen die Volkswirtschaften Frankreichs und Italiens weiterhin ins Minus; beider Länder Politiker sehen sich nicht in der Lage, den wirklichen Gründen für den desolaten Zustand ihrer Volkswirtschaften – zu hohe Löhne, viel zu viel Bürokratie- und Verwaltungskosten, 35-Stunden-Woche (Frankreich) – mit harten Reformen konsequent zu begegnen. Kein Wunder, welchen Italiener interessiert schon, was in Rom ausgekungelt wird, und die Franzosen strafen ihre politischen Glühwürmchen geradezu hobbymäßig ab.
Nach wie vor können sich die 18 Mitgliedsstaaten nicht darüber einigen, welche (aus Sicht der Deutschen Bundesbank einzige) Lösung sie präferieren – entweder eine „Fiskalunion“, also eine Vereinheitlichung der gesamten Steuerpolitik aller beteiligten Länder, unter der Führung Brüssels, oder eine „Maastricht 2.0“-Variante, derzufolge die einzelnen Mitgliedsländer strikt die von Brüssel vorgegebenen und strafbewehrten Regeln einzuhalten haben. An letzterem darf man als wirklich probater Lösung insofern zweifeln, als bereits Maastricht I nach und nach immer mehr aufgeweicht und von immer mehr Mitgliedsländern immer unbedenklicher verletzt wurde, schlußendlich nicht mehr das Papier wert war, auf dem es verewigt wurde.
Die (meiner Meinung nach einzig vernünftige) dritte Lösung, die Rückkehr zu konkurrierenden Währungen, steht weder für Brüssel noch für die Politiker aller involvierten Länder oder deren Notenbankenchefs überhaupt zur Debatte. Einzig die ‚AfD‘ in Deutschland und Nigel Farage, der Chef der ‚UK Independence Party‘, scheinen den Schuß gehört zu haben und den wahren Kern des Problems zu verstehen. Sie werden dafür prompt als ‚rechts‘ verteufelt und gefemt.
Dabei lernt jeder Volkswirt im ersten Semester, daß die Hauptfunktion unterschiedlicher Währungen darin liegt, als Bindeglied oder Gelenk zwischen unterschiedlich strukturierten Volkswirtschaften und deren Leistungsfähigkeiten zu agieren. (Für Interessierte: auf der Seite www.d-perspektive.de finden die meinen Lösungsvorschlag – Die Lösung der Euro-Krise.)
Eine größere Kluft zwischen politischer Welt (und deren „elitären“ Bewohnern – Politiker und Parteien) und den soziologischen Strukturen, die man früher als Völker und Nationen bezeichnete, bestand wohl noch nie; den etwa drei Dutzend Unabhängigkeits-bestrebungen, die wir alleine im Raum der Eurozone haben, stehen die Verfechter einer Vereinheitlichung von allem – Löhne, Gehälter, soziale Verhältnisse, Renten- und Sozialversicherung, Arbeitszeiten und -umfelder, und all dies bei gleichen Bildungsvoraussetzungen, identischen (Lebens-)arbeitszeiten, Produktabilität und Lebensstilen – gegenüber.
Ich warte nur darauf, daß nach der Vereinheitlichung der Durchlaufgeschwindigkeit von Duschköpfen irgendwann auch die Vereinheitlichung von Reproduktionsquoten für alle Frauen innerhalb der Eurozone gesetzlich manifestiert wird.
Wer die Eurokrise bereits für beendet und als historisches ‚fait accompli‘ ansieht, sollte sich auf ein böses Erwachen einrichten. Wer sich jedoch wachhält, auch vor einigen Jahren rezessiver wirtschaftlicher Entwicklung und den berühmten „japanischen Verhältnissen“ keine Angst hat, wird auch diese Krise unfähiger und unwilliger Finanz- und Wirtschaftspolitiker problemarm überstehen.
H.-W. Graf