Nun haben wir also auch hierzulande „japanische Verhältnisse“; die EZB senkte den Leitzins auf 0,05%. Egal, welchen Alters: Das hat in Deutschland noch niemand erlebt, und wer sich noch an die 1970er und 1980er Jahre mit zweistelligen Hypothekenzinsen erinnern kann, hätte sich das auch wohl nie träumen lassen.
Damals hatten wir aber auch hierzulande noch Steigerungen des Bruttoinlandsprodukts von 4 und 5% sowie Preissteigerungsraten von 7 bis 8%. Wenn man den Realzins, also den Nominalzins abzüglich der Preissteigerungsrate, als Maßstab und Faustformel nimmt, lagen wir damals auf dem gleichen Niveau wie heute, denn dieser Realzins liegt heute bei etwa 0,7%. Insofern ist des Einen Freud (niedrige Inflationsraten) des Anderen Feind (praktisch keine Rendite für kurzfristig angelegte Festgelder). Und selbst für 10-jährige Bundesanleihen liegt die Rendite inzwischen bei nur noch knapp 0,65%.
Auch wenn den EZB-Granden eine Preissteigerungsrate von 2% als ideal erscheint, so können die Konsumenten mit Preissteigerungsraten nahe der Null-Grenze hervorragend leben. Schwer tun sich nur diejenigen, die bei ihrer Geldanlage absolut jedes Risiko meiden, dennoch aber Renditen erzielen möchten. Daß dies rein logisch praktisch nicht möglich ist, zeigt sich in der Tatsache, daß die Zinsen, Renditen und Erträge des Anlegers von den Kreditnehmern und Konsumenten auf der anderen Seite bestritten werden müssen, so wie von Gewerkschaften durchgeboxte Lohnerhöhungen notwendigerweise zu Preissteigerungen der Anbieter von Waren und Dienstleistungen führen müssen.
Aber all das gehört zu dem immer wieder kolportierten Märchen, ‚nur Wachstum schafft Arbeitsplätze und Wohlstand‘, was insbesondere von Politikern in die Welt posaunt wird, die sich vor Wahlen beliebt machen und sich als ‚sozial‘ und (dennoch) ökonomisch kompetent beweisen wollen.
Die langfristigen Zinsen sind tatsächlich nur den Zinssenkungen der EZB gefolgt, und der Abstand zwischen kurz- und langfristigen Zinsen in Höhe von rund 1% entspricht durchaus dem historischen Mittelwert. Wir könnten also mit dem derzeitigen Szenario durchaus auch längere Zeit bequem leben – Japan macht es uns seit mehr als 10 Jahren vor.
Irrational ist eigentlich nur der Anleger, der zwar im Supermarkt jedem Schnäppchen hinterher jagt, jedoch Sachwertanlagen [Aktien(fonds), Edelmetalle und andere Sachwerte] erst dann (wieder) kauft, wenn deren Preise schon wieder in luftige Höhen gestiegen sind, anstatt dann zuzugreifen, wenn sie „im Sonderangebot“, nämlich billig, zu haben sind.
Am besten geht es im derzeitigen Szenario denjenigen, die mit Sparplänen, die mit monatlich gleichbleibenden Beträgen bestückt werden, langfristig denken und handeln. Sie erwerben derzeit – ein kluges Management der Vermögensverwalter vorausgesetzt – erheblich mehr Anteile als in Phasen steigender Kurse. Dies wird sich aber gerade dann, wenn sich – und das ist auch historisch absehbar – Aktien- wie Rentenwerte wieder nach oben entwickeln werden, als sinnvoll erweisen. Denn wann die Zinsen wieder steigen, ist sekundär, daß sie es irgendwann tun werden, ist sicher.
Lassen Sie sich nicht vom Geschehen an den Börsen irritieren. Viel beunruhigender ist unserer Meinung nach das (wesentlich) irrationalere Verhalten der Politiker, ob in Syrien und dem Irak, im Gazastreifen und auf den Golanhöhen, in der Türkei und Afghanistan oder im Konflikt zwischen West- und Ost-Ukraine.
Applaudierende Profiteure dieses Szenarios sind nur die Waffenschmieden. Aber auch die bieten amtsmüden oder abgehalfterten Politikern post officium lukrative Jobs!
Wirtschaft und Finanzen, Börsenkurse und Indizes müssen Sie nicht erschrecken, egal ob Sie als Konsument oder Anleger unterwegs sind.
H.-W. Graf