Hinter einer demokratischen Fassade
von Friedrich Carl Albrecht
Am 3. Oktober 1995, also dem fünften Jahrestag der Vereinigung von Westdeutschland mit dem Gebiet der DDR, hat der estnische Staatspräsident Lennart Meri in Berlin eine bemerkenswerte Rede gehalten, in der er unter anderem sagte:
„Als Este frage ich mich, warum zeigen die Deutschen so wenig Respekt vor sich selbst? Deutschland ist eine Art Canossa-Republik geworden, eine Republik der Reue. Aber wenn man die Moral zur Schau trägt, riskiert man, nicht sehr ernst genommen zu werden. Als Nicht-Deutscher erlaube ich mir die Bemerkung: Man kann einem Volk nicht trauen, das rund um die Uhr eine intellektuelle Selbstverachtung ausführt. Diese Haltung wirkt auf mich als ein Ritual, eine Pflichtübung, die überflüssig und sogar respektlos gegenüber unserem gemeinsamen Europa dasteht.
Für mich als Este ist es kaum nachzuvollziehen, warum die Deutschen ihre eigene Geschichte so tabuisieren, daß es enorm schwierig ist, über das Unrecht gegen die Deutschen zu publizieren, ohne dabei schief angesehen zu werden – aber nicht etwa von den Esten oder Finnen, sondern von den Deutschen selbst!“
Staatspräsident Meri hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Deutschland ist zu einer Canossa-Republik verkommen mit einer Haltung sehr vieler ihrer Amts- und Mandatsträger und vieler ihrer sogenannten Gebildeten, auf die die 1985 in einem Essay gebrauchten harten Worte des Schriftstellers Hans-Georg von Studnitz zutreffen: „Die 40 Jahre nach Kriegsende ungestillte Lust der Deutschen an der Erniedrigung ihrer Vergangenheit hat die Grenzen überschritten, die selbst der Charakterlosigkeit gesetzt sind.“
Der damalige US-Präsident Ronald Reagan hatte anläßlich seines Deutschlandbesuchs 1985 in nobler Weise unser Volk zu Selbstbewußtsein und zum Stolz auf die eigene Geschichte aufgerufen, was ihm böse Kommentare der meisten deutschen Medien eingetragen hat.
Das gleiche versuchte der von Reagan nach Bonn entsandte US-Botschafter Vernon Walters, der 1984 sagte: „Vor den deutschen Soldaten ziehe ich den Hut. Ich habe bei Anzio und in der Normandie gegen Euch gekämpft und kann nur sagen: Eure Soldaten waren erstklassig! Was ihr Deutschen braucht, ist mehr Selbstachtung und Patriotismus! Ihr habt das Recht dazu. Ihr seid ein großes Volk, das der Welt unermeßliche Kulturschätze geschenkt hat. Ihr habt in der Wehrmacht eine Armee gehabt, welche die Welt bewundert.“
Wie verkommen unser Land inzwischen ist, ersieht man daran, daß diese Worte keinerlei positive Resonanz gefunden haben. Ein in meinen Augen zutreffendes Resümee zog 1996 der bekannte Dirigent Günter Wand: [….]