Autor: Edward Lucas
Verlag: Riemann-Verlag, München
Preis: € 19,00
Umfang: 300 Seiten
ISBN: 978-3-570-50095-8
Die große „Wende“ von 1989 und die Auflösung des Sowjet-Imperiums erschienen vielen Deutschen als das Happy End der politischen Weltgeschichte. Aber nur in Filmen wird nach dem Happy End ausgeblendet, in Wirklichkeit folgen oft Ernüchterung, grauer Alltag oder gar der Rückfall in alte Verhaltensmuster. 20 Jahre nach der Wende-Ikone Michail Gorbatschow ist in vielen Bereichen ein Rückfall in Denk- und Verhaltensmuster aus der Sowjet-Ära festzustellen. Brillant und hellsichtig analysiert der Autor Edward Lucas die wesentlichen Entwicklungslinien der russischen Politik in den letzten 20 Jahren. Der Blick auf die Situation der Gegenwart zeigt ein tief gespaltenes Rußland zwischen boomender Wirtschaft, sozialen Spannungen, einer Marionettenjustiz und dem Niedergang von Presse- und Meinungsfreiheit, wie unter anderem die Morde an Anna Politkowskaja und Alexander Litwinenko deutlich machen.
Die neuen Machthaber verschwenden keine Zeit mehr mit dem ideologischen Ballast der kommunistischen Gründerväter Marx, Engels oder Lenin. Sie nutzen eine moderne Fassade aus freien Wahlen, Gesetzen und Privateigentum, um ihre im Kern autoritäre, nationalistische Mentalität zu verdecken. Korruption und Rechtsbeugung haben das System der noch jungen russischen Demokratie nicht nur unterwandert, sie sind das System. Zwar wird der Kalte Krieg in seiner alten Form kaum wiederkehren, ebenso wenig entsprechen aber die euphorischen Gefühle der ersten Wendejahre dem aktuellen Szenario. Lassen wir uns nicht durch den reduzierten Militärapparat Rußlands täuschen. Die wachsende Abhängigkeit Europas von russischem Gas verleiht den außenpolitischen Forderungen des Kreml genauso viel Nachdruck, wie es zuvor seine Waffensysteme konnten.
Edward Lucas ist ein Sachbuchautor von außergewöhnlichem Format. Professionell wechselt er zwischen erzählenden und analytischen Passagen und führt den Leser Schritt für Schritt in eine für ihn noch weitgehend fremde Welt ein. Getragen von einem hohen humanen Ethos, ist „Der Kalte Krieg des Kreml“ zugleich eine Abrechnung und eine Warnung. Der Westen, so Lucas, vertraut zu sehr der russischen Führung als „Verbündetem“ im Kampf gegen neue Bedrohungen. Den „Krieg gegen den Terror“ mithilfe Putins gewinnen zu wollen, gleicht dem Versuch, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Linke und liberal denkende Europäer haben sich so sehr auf ihren Lieblingsfeind George Bush eingeschossen, daß sie die wieder erwachende russische Gefahr in ihrem Rücken nicht wahrnehmen wollen. Antiamerikanische Propaganda nach sozialistischem Strickmuster, lange als Anachronismus verlacht, fällt in den Tagen von Guantanamo, Irakkrieg und Raubtierkapitalismus wieder auf fruchtbaren Boden.
Lucas‘ erschreckendes Resümee: Wir verlieren den neuen kalten Krieg, weil wir uns bis heute weigern, ihn auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Diesen Krieg zu gewinnen, würde eine Rückbesinnung auf die Werte und das Selbstvertrauen erfordern, die dem Westen 1989 zum Sieg verholfen haben.
Edward Lucas (Jahrgang 1962) hat sich als Journalist seit 1986 auf die Berichterstattung über Zentral- und Osteuropa spezialisiert. Von 1990 bis 1994 berichtete er direkt aus dem Baltikum über den Zerfall des Sowjetimperiums. Als Auslandskorrespondent schrieb er für „The Independent“ und die BBC. 1998 – 2002 leitete er das Moskau-Büro des „Economist“. Edward Lucas spricht Litauisch, Polnisch, Tschechisch, Russisch und Deutsch.